Das zentrale Dogma der Molekularbiologie


Dennoch gilt seit 1970, bis heute, weitestgehend immer noch das sogenannte, "zentrale Dogma der Molekularbiologie" (nach Watson & Crick).

 

Aber was bitte soll denn ein "Dogma" sein?

Ah, ok: "ein Glaubenssatz dessen Gültigkeit als absolut angesehen wird und aus diesem Grund nicht angezweifelt werden darf ".

 

Ich glaube, ich muss damals im Religionsunterricht unglaublich tief geschlafen haben, als wir diese Definition besprochen haben. Verwenden wir in diesem Zusammenhang deshalb lieber den wohl zutreffenderen Begriff "Grundannahme".

 

Diese These besagt, dass der Prozess der Proteinbildung immer vom Zellkern ausgeht, also vom Zentrum der Zelle, wo unser Erbgut in Form von DNA gespeichert ist.

 

Dabei kann dieser Prozess nie in umgekehrter Richtung verlaufen. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine klar definierte Einbahnstraße. 



Die "zentrale Sackgasse"


Und da ist er plötzlich wieder, unser alter Bekannter, der Newton, gepaart mit der zweiten Annahme - wir erinnern uns wieder: Gene (als funktionaler Bestandteil der DNA) kontrollieren und steuern unsere individuelle Ausprägung.

 

Fassen wir die Schlussfolgerung daraus also nochmal kurz zusammen:


  • Der Mensch ist genetisch determiniert
  • Diese genetische Festlegung ist unveränderlich

Was bedeutet das aber in seiner Konsequenz für uns?

 

Ja aber sicher doch: wir alle sind Opfer unserer Gene, da unser genetischer Code bis zum St. Nimmerleinstag feststeht und unabänderlich ist.

 

Kein Wunder ist aus mir nie etwas Gescheites geworden, meine Erbanlagen sind ja auch nicht unbedingt erste Sahne, vor allem wenn ich mir meine Eltern und Verwandten genauer anschaue. Von denen hat es ja auch keiner wirklich weit gebracht.

 

Zugegeben, die vorhergehende Bemerkung war bewusst ironisch, sie trifft den hier vorliegenden Nagel jedoch genau auf den Kopf.

 

Ok, aber wenn wir aber alle Opfer sind, welches Gefühl löst dann diese Rolle möglicherweise in uns aus?

 


"Ohn-Macht"



Kannst du das Gefühl der „Ohn-Macht“, der vollumfassenden Machtlosigkeit, nicht schon selbst

spüren? Ich schon. Nach dem Motto, meine Gene sind halt nur minderwertige, zweite Wahl, da kann man einfach nichts machen. 

Wie krass ist das denn? 



Die "Gen-Manipulation"


Der Glaube daran, dass unser Schicksal weitestgehend durch unsere Gene bestimmt wird, ist bedauerlicherweise nicht nur in den Lehrsälen dieser Welt immer noch sehr weit verbreitet.

 

Zudem wird diese Legende durch diverse Sendungen, die täglich über die Mattscheiben unserer Flatscreens flimmern, noch entsprechend verstärkt.

 

Auch das restliche Medienkarussell "twittert" auf die eine oder andere Weise, immer wieder und gebetsmühlenartig, dieselbe wiederkehrende Botschaft:

Es sind unsere "bösen" und "heimtückischen" Gene, die diese, oder jene Krankheit verursachen!



Dadurch wurde uns die Überzeugung eingeimpft, wir wären Opfer unserer Biologie, wobei letztlich die Qualität unserer Gene darüber entscheidet, zu welcher Persönlichkeit wir uns entwickeln werden, welche Fähigkeiten und Talente wir haben, wie intelligent, wie zufrieden, glücklich und gesund wir sind.

 

Ja, sie bestimmen sogar darüber, welcher Partner am Besten zu uns passt, welches Alter wir in etwa erreichen und an welcher Krankheit wir vermutlich sterben werden. 



Wie beruhigend ist es doch zu wissen, dass diese verstaubten Paradigmen, die auf den Erkenntnissen von vorgestern beruhen, heute ohne Reue und ganz getrost, in das Reich der Mythen und Legenden, eingeordnet werden können.

 


"Gentastische" Neuigkeiten


Denn die schlichte Wahrheit ist: Nicht jede gesundheitliche Störung oder physische Veränderung, hängt mit einem Gen zusammen.

 

So gibt es beispielsweise kein Gen für Legasthenie, ADHS oder Alkoholismus. Nicht einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung, wird mit einem genetisch bedingten Defekt (wie beispielsweise dem Down-Syndrom) geboren.

 

Die restlichen 95 % der Betroffenen, erwerben solche Krankheiten aufgrund ihrer Verhaltensweisen, Gewohnheiten und ihrem Lebensstil, in ihrem weiteren Lebensverlauf (ein prominentes Beispiel dafür: Diabetes Typ II).

 

Aus diesem Grund gilt auch im umgekehrten Fall: Nicht jeder Mensch, bei dem eine genetische Veranlagung in Bezug auf eine bestimmte Krankheit festgestellt wurde (beispielsweise Alzheimer oder Brustkrebs), wird auch tatsächlich daran erkranken - es sei denn die betreffende Person glaubt felsenfest daran und/oder lebt unter Bedingungen, die die Entwicklung besagter Erkrankungen begünstigen, doch dazu später mehr.

 


Das "Human-Genom Projekt"



Bevor das menschliche Genom, also die Gesamtheit der menschlichen Gene, durch das sogenannte "Human-Genom Projekt“, vollständig kartographiert und entschlüsselt wurde, war die Erwartung der Forscher, dass sie mindestens 140.000 unterschiedliche Gene entdecken würden, da man damals annahm, dass jeweils ein bestimmtes Gen für die Produktion eines bestimmten Proteins ("Baustein des Lebens") zuständig sei.

 

Da bekannt ist, dass der menschliche Organismus insgesamt ca. 140.000 verschiedene Proteine herstellt, ist diese Erwartung in diesem Zusammenhang durchaus nachvollziehbar und auch aus der Perspektive des zentralen Dogmas betrachtet, mehr als verständlich.

 


Ein zentrales Dogma stirbt!


Als das Projekt 2003 beendet war, stellte sich jedoch zum Erstaunen der meisten Beteiligten heraus, dass wir Menschen tatsächlich "nur" über 23.688 Gene verfügen.

 

Allerdings reicht diese "mickrige" Anzahl nicht einmal ansatzweise aus, um die einfachsten Grundfunktionen des menschlichen Körpers zu gewährleisten, geschweige denn einen ganzen Organismus am Leben sowie am Laufen zu halten.

 

Aus diesem Grund musste dringend ein neues Konzept her, also eine neue Grundannahme und Theorie, die erklären konnte, wie so wenige Gene, eine so große Vielfalt an unterschiedlichen Proteinen, hervorbringen können.

 

Dies war die Geburtsstunde der Epigenetik und zugleich der Todesstoß für das besagte Dogma der Molekularbiologie. 




Weiter mit der vierten Etappe: Epigenetik